Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung
Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie zu den Personen gehören, die landläufig als „normal“ und „gesund“ gelten. Wissen Sie es zu schätzen? Hoffentlich! Ein Leben mit Handicap kann uns jeden Tag treffen! Ein Unfall, die Diagnose einer unheilbaren Krankheit wie z.B. Multiple Sklerose oder einfach das Alter, was uns immobil oder vergesslich (Demenz) werden lassen kann. Nach dem Schwerbehindertenrecht, Sozialgesetzbuch (SGB), sind Menschen behindert, deren körperliche Funktionen, geistige Fähigkeiten oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen kann. Damit ist eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben eindeutig beeinträchtigt.
Die UNO initiierte den Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 1992, woraufhin er 2003 erstmals gefeiert wurde. Der Tag soll jährlich wach rütteln und deutlich machen, dass jedes Leben, ob mit oder ohne Handicap gleich viel wert ist und mit denselben Rechten verbunden sein muss. Erst in der UN-Behindertenrechtskonvention aus 2009 werden für Menschen mit Behinderung die gleichen Rechte und Möglichkeiten wie für Menschen ohne Handicap festgelegt.
Regensburg ist in vielen Bereichen für Barrierefreiheit vorbildlich. Natürlich gibt es tägliche Situationen, die (noch) nicht gut laufen oder Betroffene nicht wissen, dass es hier Hilfe gibt.
Beginnen wir mit dem Bau der Regensburger Universität in den 60er Jahren. Barrierefrei! Was für ein Novum und Zeichen an die geistige, aber nicht körperliche Elite. Erst in dieser Woche ist einer der bekanntesten Deutschen mit Handicap verstorben: Peter Radtke (Geisteswissenschaftler, Schauspieler), mit Glasknochenkrankheit vor 77 Jahren zur Welt gekommen, hat in Regensburg Geisteswissenschaften und Romanistik studiert und zweifach promoviert.
In den 80er Jahren prägten viele sogenannte Contergankinder den Campus. Ihren Müttern wurde in der Schwangerschaft das Schlafmittel Contergan verschrieben. Die Folge: schwerstbehinderte Kinder. Zu einer behindertengerechten Uni gehören im Folgeschluss Studentenwohnheime mit entsprechenden Vorrichtungen. Regensburg bietet das seit Jahrzehnten!
„Gut beroll- und begehbar ist die Stadtführung in Gebärdensprache“, die die Tourist Information anbietet. Bereits oder erst in 3. Auflage legt die Stadt Regensburg einen 80-seitigen Ratgeber „Barrierefrei durch Regensburg“ mit 500 Tipps und Piktogrammen auf. Hier wird übersichtlich auf alle Lebenslagen eingegangen, damit Menschen mit Behinderung in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Freizeit, Bildung etc. gemäß den UN-Konventionen gleichberechtigt teilnehmen können. Die Broschüre ist für Nichtbehinderte genauso interessant! Ein Pflasterplan zeigt z.B., wo es sich in der Altstadt leicht gehen bzw. rollen lässt. Bei der aufwendigen Renovierung der Steinernen Brücke achtete man bei der Höhe der Brückenbrüstung sowohl auf die Sicherheitshöhe für Fußgänger wie auch auf die Blickhöhe eines Rollis. Wussten Sie, in welchen Kirchen und Veranstaltungsräumen induktive Höranlagen für Schwerhörige installiert sind? Im Gericht in der Augustenstraße, wie auch in der Jahn Regensburg Arena ist man für Behinderungen eingerichtet. Die Anschriften sind sogar in Blindenschrift angebracht. Das und viel mehr entnehmen sie der Broschüre.
Besonders eindrucksvoll ist beim Haus der Bayerischen Geschichte zu sehen, wie bei Neubauten und Konzepten auf alle möglichen Behinderungen Rücksicht genommen wird und extra Angebote geschaffen werden. Neben mobilen Sitzgelegenheiten, können bei Bedarf Audioguides in einfacher Sprache ausgeliehen werden. Führungen können mit Gebärdendolmetscher und Medien Guides in Gebärdensprache gebucht werden. Für Blinde und Sehbehinderte sind Tast- und Reliefbilder zu verschiedenen Themen angebracht. Sollte es einem Besucher zu anstrengend werden, kann er jederzeit kostenlos einen Rollstuhl ausleihen. Übrigens: die nette Dame an der Rezeption ist selbst Rolli. Inklusion am Arbeitsplatz kennt auch Ludwig Kellner, der nach einer schweren Krankheit im Rollstuhl landete und dennoch weiter in seinem Beruf als Buchhändler arbeiten kann. Die Buchhandlung befindet sich in den Arcaden, die wie alle Regensburger Einkaufszentren gut für Behinderte erreichbar sind.
Notsituationen machen Behinderte und ihre Angehörigen oft hilflos. Die Stadt Regensburg bietet hierfür eine kostenlose Behindertendatei, die leider viel zu wenig genutzt wird. Eintragen können sich vor allem alle, die gehörlos, geh- oder sehbehindert sind und in Regensburg wohnen oder arbeiten. Für den Fall eines Brandes oder eines anderen Unglücks sind deren Daten für die Rettungskräfte im Rechner der Leitstelle hinterlegt. Idealerweise sollten Ärzte die Betroffenen darauf aufmerksam. Laut statischem Jahrbuch gibt es rund 16.000 Behinderte (Alte und Kranke nicht mitgerechnet) mit einem Grad der Behinderung von 50 und mehr und die Datei zählt keine 100 Eintragungen!
Und noch etwas: Mit Frank Reinel hat die Stadt Regensburg einen eigenen kommunalen Behindertenbeauftragten, der sich jeden Tag für die Interessen der Menschen mit Handicap einsetzt und wirklich schon sehr viel erreicht hat. Diese Vollzeitstelle mit zwischenzeitlich verwaltungstechnischem Unterbau wurde von Joachim Wolbergs geschaffen und ist in seiner Art einzigartig und gilt als Leuchtturm in Deutschland. Reinel ist erreichbar unter Reinel.Peter(at)regensburg.de, Tel: 0941-507 2255.
Behinderungen treffen wir täglich an, wir verschließen nur oft die Augen davor. Es gibt viele, schöne und sinnvolle Hilfestellungen, die Institutionen, Vereine und die Stadt anbieten. In loser Reihenfolge werden wir verschiedene Bereiche vorstellen.
Was gar nicht geht ist, dass auf einem der ca. 300 Behindertenparkplätze der Stadt Unberechtigte stehen, weil es so bequem ist. Für den darauf Angewiesenen kann es die Hölle sein. Darüber sollten wir nachdenken …
„Wenn Sie mir den Parkplatz nehmen, dann nehmen Sie mir bitte auch meine Behinderung“
Unbekannt – Schild auf einem Behindertenparkplatz in Frankreich
Bildquelle: schwerbehindertenausweis.biz